Pierre Choderlos de Laclos (1741–1803)***Heiner Müller (1929–1995)

Laclos€™ vielstimmiger Briefroman Les liaisons dangereuses (1782, Die gefährlichen Liebschaften), in dem ein männlicher adliger Libertin, der Vicomte de Valmont, und seine intrigante Partnerin, die Marquise de Merteuil, wie in einem Schachspiel mit den Personen in ihrer Umgebung und vor allem mit deren Gefühlen spielen, ist oft als hellsichtige Zeichnung der moralisch korrupten Adelsgesellschaft gesehen worden, die sieben Jahre nach dem Erscheinen des Romans durch die Revolution ihre Vormachtstellung einbüßen sollte. Das Buch verursachte erhebliches Aufsehen, da es nicht ohne Grund als Attacke gegen einen Teil der adligen Gesellschaft aufgefasst wurde, was dem Berufssoldaten Laclos auch Ärger mit seiner militärischen Hierarchie einbrachte. Auch in Deutschland haben die Gefährlichen Liebschaften schon bald nach ihrem Erscheinen in Frankreich Funken versprüht und wurden vielfach übersetzt, u. a. auch von Heinrich Mann (1905). Heiner Müller hat den Text gut zweihundert Jahre nach dem Erscheinen von Laclos™ Roman unter dem Titel Quartett (Uraufführung 1982) für das Theater adaptiert. „DAS FLEISCH HAT SEINEN EIGENEN GEIST”, sagt Müllers Valmont, als er die sittenstrenge Mme de Tourvel verführen möchte, was das Verhältnis von kühlem Intellekt und Triebleben, das im Zentrum von Laclos’ Roman steht, auf eine andere Ebene hebt. Bei Müller spielt das Stück in einem „Salon vor der Französischen Revolution” und in einem „Bunker nach dem Dritten Weltkrieg”. Ob Revolution oder Atomkrieg, am Ende der Gefährlichen Liebschaften steht, wie am Ende von Müllers Quartett, die Desillusionierung, die wiederum Müllers Valmont schon zu Beginn des Stücks formuliert: „Nur die Lust nimmt der Liebe die Binde ab und schenkt ihr den Blick durch den Schleier der Haut auf die Roheit des Fleisches, die gleichgültige Nahrung der Gräber”.