François Villon (1431-nach 1463)***Bertolt Brecht (1889-1956)

Als der Literaturkritiker Alfred Kerr 1929 die zahlreichen Übernahmen von Villons Texten bzw. vielmehr deren Übersetzungen durch Karl Ammer in Brechts „Dreigroschenoper” nachwies, stand der Vorwurf des Plagiats im Raum. Kein unbegründeter Vorwurf, wenn man bedenkt, dass Brechts Anleihen bei Villon ganze Balladen betreffen und zu „geflügelten Worten” avancierte Passagen wie „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm”. Brecht gab sich auch tatsächlich gar keine Mühe, die Übernahmen abzustreiten. Er verwies stattdessen auf seine „grundsätzlich[e] Laxheit in Fragen geistigen Eigentums” und forderte in einem Sonett, das der Neuausgabe von Karl Ammers Villonübertragungen vorangestellt wurde, dazu auf, es ihm gleichzutun und sich aus Villon zu bedienen. Leben und Werk des 1431 geborenen, mehrfach zum Tode verurteilten und wieder begnadigten französischen Dichters enthielten für Brecht offensichtlich viel Potential für eine Aktualisierung: Wie hält es die Gesellschaft mit Außenseitern? Wie legitim ist es, von Armen Genügsamkeit zu fordern? Gibt es anständiges Leben jenseits der bürgerlichen Moralvorstellungen? Diese Fragen prägen Brechts Rezeption des satirisch-burlesken, aber auch eine überraschend persönliche Note aufweisenden Werkes Villons, das nicht nur in der „Dreigroschenoper” Spuren hinterlassen hat. Eingang in die Gedichtsammlung „Die Hauspostille” fand Brechts Ballade „Vom François Villon”, in der Villons „freche Seele” bis heute nachklingt.